Eine Parallele zur y-Achse im Abstand schneidet die Graphen von u und v in den Punkten . Verbindet man nun diese beiden Punkte mit dem Koordinatenursprung O, so sind die Geraden OP und OQ Sekanten der Graphen von u und v. Da beide Funktionen im Intervall differenzierbar sind, gibt es nach dem Mittelwertsatz im offenen Intervall mindestens zwei Stellen a und b, sodass gilt:
Somit ist , und für den Grenzwert erhalten wir:
Strebt nun x gegen null, so streben offensichtlich sowohl a als auch b ebenfalls gegen null. Da ist, ergibt sich .
Demzufolge ist:
Für sind die Überlegungen analog, so dass in der Tat gilt:
Dieses Ergebnis lässt sich zur (ersten) Regel von L'HOSPITAL verallgemeinern:
- Es seien die Funktionen in einer Umgebung von differenzierbar und ihre Ableitungsfunktionen in stetig.
Ist nun sowie in einer Umgebung von , so gilt:
Anmerkungen: Die Regel von L'HOSPITAL kann (wenn jeweils die Voraussetzungen erfüllt sind) auch mehrfach hintereinander angewendet werden.
Zu beachten ist ferner, dass man Zähler- und Nennerfunktionen getrennt ableitet und nicht nach der Quotientenregel verfährt.
Beispiel 1:
Es ist:
Beispiel 2:
Für gehen sowohl die Zählerfunktion als auch die Nennerfunktion gegen null, aber es ist nicht absehbar, was mit dem Quotienten passiert, deshalb überprüfen wir den Grenzwert des Quotienten der Ableitungen:
Also ist .
Beispiel 3:
Für streben sowohl die Zähler- als auch die Nennerfunktion gegen null. Der Quotient der Ableitungen ist:
Da wiederum Zähler- und Nennerfunktion für gegen null streben, wird ein weiteres Mal abgeleitet:
Jetzt ist und demzufolge gilt:
.
Anmerkung: Die Regel von L'HOSPITAL lässt sich nicht anwenden, wenn die Zähler- oder die Nennerfunktion einen endlichen von null verschiedenen Grenzwert hat. Zum Beispiel ist . Eine formale (nicht die Voraussetzungen prüfende) Anwendung der Regel von L'HOSPITAL führt zu dem falschen Ergebnis .
Greifen wir nochmals das Eingangsbeispiel auf.
Mithilfe der Regel von L'HOSPITAL erhält man:
Im Unterschied zu den physikalischen Überlegungen erweckt das mathematische Resultat eine unbegrenzte Zunahme der Stromstärke mit der Zeit. Praktisch stellt sich jedoch ziemlich schnell der konstante Wert ein (s. obiges Textbild).